EuGH zu nach Überlassung entdeckter Mehrmenge

Der EuGH hat sich in einer grundlegenden Entscheidung vom 8.6.2023 mit Fragen befasst, die den alltäglichen Fall einer im Nachhinein entdeckten Mehrmenge betreffen. Es ging um

  • Änderung der Zollanmeldung,
  • Berichtigung von Fehlern und
  • Sanktionen

bei nach Überlassung entdeckten Mehrmengen.

Sachverhalt

Der Sachverhalt war alltäglich. Die Firma ZZE gab bei einem Schweizer Unternehmen zwei Bestellungen für insgesamt 10.000 elektronisch integrierte Schaltungen auf. Das Schweizer Unternehmen stellte hierfür zwei Rechnungen aus, jeweils über eine Menge von 5.000 Stück und einen Betrag von 4.950 €. Die Beförderung der betreffenden Waren wurde von einem Kurierdienst durchgeführt.

Bei Erhalt der Sendung in Satu Mare (Rumänien) stellten die Mitarbeiter von ZZE fest, dass das Paket die doppelte Menge der in der Rechnung ausgewiesenen Menge enthielt und dass der Lieferant am selben Tag die zweite Rechnung ausgestellt hatte, die in der bei den Zollbehörden eingereichten Anmeldung nicht berücksichtigt worden war.

ZZE stellte daher am 9. Juli 2019 beim Grenzzollamt des Flughafens Cluj-Napoca einen Antrag auf Behebung der festgestellten Unregelmäßigkeit durch den Erlass einer Entscheidung der Zollbehörden zur Bereinigung der Situation und zur Berechnung der entsprechenden zollrechtlichen Verpflichtungen.

Am 2. September 2019 erließen die zuständigen Zollbehörden einen Bußgeldbescheid und verhängten gegen ZZE ein Bußgeld. ZZE focht diesen Bußgeldbescheid vor den rumänischen Gerichten an. Die Judecătoria Cluj-Napoca (Gericht erster Instanz Cluj‑Napoca, Rumänien) wies die Klage von ZZE im ersten Rechtszug ab. ZZE legte gegen diese Entscheidung beim Tribunalul Cluj (Regionalgericht Cluj, Rumänien), dem vorlegenden Gericht, Berufung ein.
Dieses Gericht hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

  1. Sind Art. 173 oder Art. 174 UZK anwendbar, wenn der Empfänger feststellt, dass mehr Waren vorhanden sind als in der ursprünglichen Zollanmeldung angegeben?
  2. Bezieht sich die Wendung „andere als die ursprünglich angemeldeten Waren“ in Art. 173 UZK auf andere Waren in quantitativer Hinsicht, in qualitativer Hinsicht oder in beiderlei Hinsicht?
  3. Steht dem Empfänger, wenn mehr Waren vorhanden sind als in der ursprünglichen Zollanmeldung angegeben, nach dem Zollkodex der Union ein Verfahren zur Verfügung, das es ihm erlaubt, die Fehler zu berichtigen, ohne sich ordnungswidrigkeitsrechtlichen oder strafrechtlichen Sanktionen auszusetzen?

Entscheidung

Der EuGH hat Art. 173 UZK dahin ausgelegt, dass ein Antrag auf Änderung der Zollanmeldung nicht in Betracht kommt, wenn er darauf gerichtet ist, diese Anmeldung dahin zu ändern, dass sie sich auf eine Warenmenge bezieht, die über die angemeldete Menge hinausgeht.

Ferner hat er entschieden, dass Art. 174 UZK dahin auszulegen ist, dass in einem Fall wie diesem ein Antrag auf Ungültigerklärung einer Zollanmeldung nicht in Betracht kommt, wenn dieser Antrag nach Überlassung der Waren gestellt wurde, ohne dass die von der Kommission in Anwendung von Art. 175 UZK festgelegten Fälle vorliegen.

Drittens hat er geurteilt, dass der Anmelder in einem solchen Fall nach Art. 139 Abs. 1 und Art. 158 Abs. 1 UZK auf jeden Fall verpflichtet ist, jede Warenmenge anzumelden, die über die angemeldete Menge hinausgeht. Der Zollkodex der Union schließe jedoch nicht aus, dass die Zollbehörden, auch wenn sie eine solche verspätete Anmeldung annehmen, gegen diesen Anmelder Sanktionen für die Nichteinhaltung zollrechtlicher Vorschriften verhängen können. Art. 42 Abs. 1 UZK sehe nämlich vor, dass jeder Mitgliedstaat Sanktionen für Zuwiderhandlungen gegen die zollrechtlichen Vorschriften vorsieht, die wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein müssen.

Anmerkung

Drei Punkte gilt es also festzuhalten:

  • Erstens sind bei nach Überlassung festgestellten Mehrmengen keine Änderungen der Zollanmeldung mehr möglich.
  • Zweitens sieht der EuGH den Anmelder in der Pflicht, Mehrmengen nachzumelden, damit dem Zoll die tatsächliche Menge bekannt ist.
  • Drittens sind Sanktionen des Fehlverhaltens trotz Nachmeldung möglich.

Diese Punkte betreffen jede Zollanmeldung, und zwar unabhängig vom gewählten Verfahren.

Nicht zu urteilen hatte der EuGH über die Pflichten eines Warenempfängers, der kein Anmelder ist, gleichwohl beim Erhalt der Waren die Mehrmenge feststellt. Er könnte als Besitzer/Erwerber der Waren weiterer Zollschuldner nach Art. 79 Abs. 3 Buchst. c UZK werden, wenn er zum Zeitpunkt des Erwerbs bzw. der Inbesitznahme der Waren wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass eine zollrechtliche Verpflichtung nicht erfüllt war. Dann ist es ratsam, die Mehrmengen bei Kenntnis nicht in Besitz zu nehmen und den Anmelder sowie ggfs. die Zollstellen zu informieren.

Damit stellt sich die Frage, welche Folgen die nachträgliche Anmeldung der Mehrmenge hat. Sie ist einmal im Rahmen der Sanktionen zu berücksichtigen. Wer von sich aus diese Pflicht erfüllt und zur Klärung der Situation beiträgt, braucht nicht mit abschreckenden Sanktionen belegt zu werden. Verhältnismäßigkeit ist gefragt.

Zudem könnte die durch Nichtanmeldung der Mehrmenge entstandene Zollschuld erlöschen. Diese vom EuGH nicht zu beurteilende Folge ergibt sich aus Art. 124 Abs. 1 Buchst. h UZK iVm Art. 103 UZK-DelVO.


Quelle:

EuGH v. 8.6.2023, C 640-21, SC Zes Zollner Electronic SRL / Direcţia Regională Vamală Cluj – Biroul Vamal de Frontieră Aeroport Cluj‑Napoca, ECLI:EU:C:2023:457

Ihre Ansprechpartner