Neue Bedingungen beim Vorsteuerabzug einer Holdinggesellschaft
Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 12.11.2020, C-42/19, Sonaecom SGPS SA
Praxisproblem
Bei dem portugiesischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um den Vorsteuerabzug bei Holdinggesellschaften.
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine Holdinggesellschaft, die die Tätigkeit des Erwerbs, des Haltens und der Verwaltung von Gesellschaftsbeteiligungen einschließlich des Bezugs der sich daraus ergebenden Erträge ausübt. Darüber hinaus übt sie die Tätigkeit der Verwaltung und strategischen Koordinierung von Unternehmen aus, die in den Märkten Telekommunikation, Medien, Software und Systemintegration tätig sind. Gegenstand des Rechtsstreites zwischen ihr und der portugiesischen Finanzverwaltung war der Anspruch auf Vorsteuerabzug hinsichtl. der Eingangsleistungen der Klägerin. Sie nahm im Rahmen ihrer Tätigkeit Beratungsleistungen von anderen Unternehmen bzgl. der von diesen Unternehmen betriebenen Markterkundung im Hinblick auf mögliche aktive Umsätze des Erwerbs von Kapitalanteilen in Anspruch und machte daraus den Vorsteuerabzug geltend. Außerdem machte die Klägerin aus der Zahlung einer Provision an ein Investmentunternehmen im Zusammenhang mit einem Vertrag für die Organisation, Einrichtung und Absicherung der Emission bestimmter Anleihen den Vorsteuerabzug geltend.
Die portugiesische Finanzverwaltung versagte den Vorsteuerabzug und begründete dies damit, dass der Erwerb von gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen keine wirtschaftliche Tätigkeit darstelle und daher die Klägerin, ungeachtet des Umstandes, dass sie auch wirtschaftliche Leistungen erbringe, hinsichtl. dieser Eingangsleistungen nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sei. Beratungsleistungen, die mit der Markterkundung im Hinblick auf den Erwerb von Kapitalanteilen an anderen Unternehmen zusammenhängen und zum Erwerb von Wertpapieren beitragen sollen, die ihren Inhabern ein Anrecht auf Dividenden geben, führten nicht zum Vorsteuerabzug, da der Kauf, der Verkauf und der Besitz von Aktien keine wirtschaftliche Tätigkeit darstelle.
Die Klägerin war der Ansicht, dass sie aufgrund dessen, dass sie eine „gemischte“ Holding sei und aufgrund ihres wiederholten und relevanten Eingreifens in das Management der Gesellschaften, an denen sie Beteiligungen halte, u. a. durch die Zusammenarbeit bei der Festlegung ihrer Strategie und bei der Erbringung entgeltlicher Dienstleistungen oftmals ihrerseits Lieferungen und Dienstleistungen unterschiedlichster Art von Dritten erwerben müsse.
Das vorlegende Gericht wollte vom EuGH wissen, ob eine Holdinggesellschaft einen Anspruch auf Vorsteuerabzug aus den folgenden Eingangsleistungen hat:
- Beratungsleistungen im Zusammenhang mit der Markterkundung hinsichtlich des Erwerbs von Gesellschaftsbeteiligungen, der jedoch nicht verwirklicht worden ist.
- Dienstleistungen für die Organisation und Einrichtung einer Anleihe, die vertraglich mit dem Ziel vereinbart worden sein soll, in die Finanzierungsstruktur der Gesellschaften, an denen die Beteiligungen gehalten werden zu integrieren, und die, da diese Investition nicht verwirklicht wurden, letztlich vollständig in der Muttergesellschaft des Konzerns verwendet wurden.
Entscheidung
Zur ersten Vorlagefrage hat der EuGH, insbes. unter Bezugnahme auf sein Urteil v. 17.10.2018, Ryanair, C‑249/17, entschieden, dass Art. 4 Abs. 1 und 2 sowie Art. 17 Abs. 1, 2 und 5 der 6. EG-Richtlinie dahin auszulegen sind, dass eine gemischte Holding, die in wiederkehrender Weise in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaften eingreift, berechtigt ist, die MwSt, die beim Erwerb von Beratungsdienstleistungen in Bezug auf eine im Hinblick auf den Erwerb von Gesellschaftsanteilen an einer anderen Gesellschaft durchgeführte Markterkundung entrichtet wurde, auch dann als Vorsteuer abzuziehen, wenn dieser Erwerb letztlich nicht erfolgt ist.
Zur zweiten Vorlagefrage hat der EuGH entschieden, dass Art. 4 Abs. 1 und 2 sowie Art. 17 Abs. 1, 2 und 5 der 6. EG-Richtlinie dahin auszulegen sind, dass eine gemischte Holding, deren Eingreifen in die Verwaltung ihrer Tochtergesellschaften wiederkehrenden Charakter hat, nicht berechtigt ist, die MwSt, die auf die Provision entrichtet wurde, die an ein Kreditinstitut für die Organisation und die Einrichtung einer Anleihe zur Vornahme von Investitionen in einem bestimmten Bereich gezahlt wurde, als Vorsteuer abzuziehen, wenn diese Investitionen letztlich nicht erfolgt sind und das durch diese Anleihe erhaltene Kapital vollständig in Form eines Darlehens an die Muttergesellschaft des Konzerns ausgezahlt wurde.
Praxishinweis
Die deutsche Rechtslage ist von dem Urteil grds. betroffen. Zur Frage des Vorsteuerabzugs haben sowohl der EuGH als auch der BFH in den letzten Jahren ausgehend von der Grundsatzentscheidung des EuGH in der Rs. Larentia + Minerva und Marenave in einer Vielzahl von Entscheidungen Stellung genommen. Die Finanzverwaltung hat sich dieser Rechtsprechung des EuGH und BFH angeschlossen. Sie geht grds. davon aus, dass Holdinggesellschaften, die in die Geschäfte ihrer Tochtergesellschaften im Rahmen eines steuerbaren Leistungsaustauschs gegen Sonderentgelt eingreifen, insoweit der Vorsteuerabzug zusteht. Allerdings besteht nach Auffassung der Finanzverwaltung das Recht auf Vorsteuerabzug aus Leistungen im Zusammenhang mit dem Einwerben von Kapital zur Anschaffung einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung für den Unternehmer (insbes. für eine Holding) nicht, soweit das eingeworbene Kapital in keinem Verhältnis zu der im unternehmerischen Bereich gehaltenen gesellschaftsrechtlichen Beteiligung steht oder wenn die Umsätze, die dieses Recht begründen sollten, eine missbräuchliche Praxis darstellen. Diese Einschränkung geht auf die Rechtsprechung des BFH zurück. Während der Ausschluss des Vorsteuerabzugs bei missbräuchlicher Praxis durch die Rechtsprechung des EuGH abgesichert ist, erscheint der Ausschluss des Vorsteuerabzugs aufgrund eines fehlenden Zusammenhangs zwischen dem eingeworbenen Kapital und der im unternehmerischen Bereich gehaltenen Beteiligung zumindest insoweit fraglich, als dass sich der EuGH hierzu bislang noch nicht geäußert hat.
Die Antwort des EuGH auf die zweite Vorlagefrage, die sich auf den Vorsteuerabzug im Zusammenhang mit der Ausgabe einer Anleihe zur Finanzierung der Tätigkeiten einer gemischten Holding richtete, ist ebenfalls eine Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung. Wenn ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen den auf der Eingangsstufe bezogenen Dienstleistungen und einem befreiten Ausgangsumsatz besteht, z. B. der Gewährung eines Darlehens an eine Muttergesellschaft, ist der Vorsteuerabzug ausgeschlossen. Da ein Darlehensumsatz, der die tatsächliche Verwendung der von einer Holding erworbenen Dienstleistungen darstellt, zu den nach Art. 13 Teil B Buchst. d Nr. 1 der 6. EG-Richtlinie befreiten Umsätzen gehört, kann die Holding die Steuer, die sie auf eine gezahlte Provision entrichtet hat, nicht als Vorsteuer abziehen. Im Ausgangsverfahren hatte die Holding die Zahlung einer Provision an eine Investmentgesellschaft für die Organisation und Einrichtung einer Anleihe geleistet, um ihre Investitionen im Bereich des „Triple Play“ zu finanzieren. Da diese Investitionsvorhaben nicht verwirklicht wurden, entschied sich die Holding in der Folge dafür, diesen Betrag ihrer Muttergesellschaft in Form eines Darlehens zur Verfügung zu stellen.