Steuerbefreiung, Leistungen von Personenzusammenschlüssen an ihre Mitglieder, Leistungen eines Personenzusammenschlusses an einen Organkreis

Anmerkung zu: EuGH, Urt. v. 18.11.2020, C-77/19, Kaplan International Colleges UK Ltd

Praxisproblem

Bei dem britischen Vorabentscheidungsersuchen ging es um den Anwendungsbereich von Art. 132 Abs. 1 Buchst f MwStSystRL = Steuerbefreiung für Leistungen von Personenzusammenschlüssen an ihre Mitglieder für Zwecke deren steuerfreier Tätigkeiten. Im Wesentlichen fragte das vorlegende Gericht den EuGH, ob die Steuerbefreiung auch auf grenzüberschreitende Sachverhalte anwendbar ist und - bejahendenfalls - wie das nationale Gericht das Vorliegen einer Wettbewerbsverzerrung zu prüfen habe. Auch fragte das Gericht nach dem Zusammenspiel zwischen den Personenzusammenschlüssen und den Regelungen zur Organschaft.

Sachverhalt

Die Klägerin (KIC) hat neun Tochtergesellschaften im Vereinigten Königreich (VK), die jeweils ein College betreiben. Die Leistungen der Colleges sind - unstreitig - als Bildungsleistungen umsatzsteuerfrei. Die Studierenden kommen überwiegend aus Asien. Sie werden rekrutiert über ein Netzwerk von Agenten, die für die Vermittlung eine Provision erhalten. Bis 2014 schlossen die Agenten die Verträge mit der Niederlassung der Klägerin im VK. Bis dahin unterlagen die Leistungen der Agenten dem Reverse-Charge-Verfahren mit der Folge, dass die MwSt von der Klägerin im VK zu entrichten war.

Ende 2014 errichtete die Unternehmensgruppe der Klägerin eine neue Gesellschaft (KPS) mit Sitz in Hongkong (= Drittland), die seitdem Vertragspartner der Agenten ist. Es war unstreitig, dass die Errichtung der KPS in Hongkong aus betriebswirtschaftlicher Sicht gerechtfertigt war und keine missbräuchliche Gestaltung darstellte. KPS erbringt seitdem Dienstleistungen an die KIC und ihre Tochtergesellschaften, die entsprechend Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL als steuerfrei behandelt wurden.

Die Klägerin war der Auffassung, die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL sei auf grenzüberschreitende Sachverhalte anwendbar. Sie könne zur Anwendung kommen, wenn der Personenzusammenschluss seinen Sitz in einem EU-Mitgliedstaat habe und seine Mitglieder in einem anderen Mitgliedstaat oder in mehreren Mitgliedstaaten ansässig seien. Sie könne auch dann zur Anwendung kommen (wie im Fall von KIC), wenn der Personenzusammenschluss seinen Sitz in einem Drittland habe und die Mitglieder in einem EU-Mitgliedstaat (oder in mehreren Mitgliedstaaten) ansässig seien. Diese Argumentation finde in den Arbeitsunterlagen 450, 654, 856 und 883 des MwSt-Ausschusses eine Stütze. Generalanwältin Kokott habe in den Rechtssachen Aviva (C-605/15) und DNB Banka (C-326/15) die Ansicht vertreten, dass die Steuerbefreiung gem. Art. 132 Abs: l Buchst. f MwStSystRL nur dann anwendbar sein könne, wenn sowohl der Personenzusammenschluss als auch seine Mitglieder in demselben EU-Mitgliedstaat ansässig seien, doch sei der EuGH diesem Standpunkt in keiner der beiden Rechtssachen gefolgt. Wie die Generalanwältin selbsteingeräumt habe, sehe der Wortlaut des Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL keine Einschränkung vor, wonach sowohl der Personenzusammenschluss als auch seine Mitglieder in einem einzigen Mitgliedstaat ansässig sein müssten, während dies im Wortlaut anderer Bestimmungen der MwStSystRL, die einen beschränkten räumlichen Geltungsbereich hätten (wie Art. 11 MwStSystRL - Organschaft), ausdrücklich angegeben sei. Eine Beschränkung der Steuerbefreiung auf Personenzusammenschlüsse und Mitglieder, die alle in demselben Mitgliedstaat ansässig seien, stünde im Widerspruch zu den Grundfreiheiten (betreffend grenzüberschreitende Leistungen zwischen den Mitgliedstaaten). Es widerspräche auch dem Zweck der Befreiung (sowohl bei grenzüberschreitenden Leistungen unter Beteiligung in Mitgliedstaaten und in Drittländern ansässiger Personenzusammenschlüsse, die sicherstellen solle, dass von einem Personenzusammenschluss erbrachte Dienstleistungen von der MwSt befreit seien, wenn die Erbringung dieser Dienstleistungen unmittelbar zur Ausübung der dem Gemeinwohl dienenden Tätigkeiten seiner Mitglieder beitrage (vgl. EuGH-Urt. in den Rechtssachen Aviva, Rn. 28 und 29, und DNB Banka, Rn. 33 und 34).

Die britische Steuerbehörde war der Auffassung, dass die Steuerbefreiung keine Anwendung findet. Sie bezog sich ebenfalls auf die Argumentation von Generalanwältin Kokott in den Schlussanträgen in den Rechtssachen C-326/15 (DNB Banka) und Aviva (C-605/15).

Entscheidung

Der EuGH hat nur die dritte und vierte Vorlagefrage beantwortet. Nach der Entscheidung kommt die Steuerbefreiung nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL nicht auf Dienstleistungen zur Anwendung, die von einem Personenzusammenschluss an einen Organkreis i. S. v. Art. 11 MwStSystRL erbracht werden, wenn nicht alle Mitglieder des Organkreises auch zugleich Mitglieder des Personenzusammenschlusses sind. Das Bestehen von Bestimmungen des nationalen Rechts, nach denen das vertretungsberechtigte Mitglied des Organkreises für die Zwecke der Anwendung der Steuerbefreiung der Leistungen eines Personenzusammenschlusses die Merkmale und den Status der Mitglieder des Personenzusammenschlusses besitzt, ist insoweit ohne Belang.

Praxishinweis

Das Urteil hat für das deutsche Recht insbes. vor dem Hintergrund der mit dem Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (vormals „JStG 2019“) eingeführten Neuregelung einer Steuerbefreiung von Personenzusammenschlüssen (§ 4 Nr. 29 UStG) besondere Bedeutung. Die Regelung sieht auch - zurückgehend auf die Argumentation von Generalanwältin Kokott in den Schlussanträgen in den Rechtssachen C-326/15 (DNB Banka) und Aviva (C-605/15) - eine Beschränkung auf inländische Zusammenschlüsse für Leistungen an ihre inländischen Mitglieder vor. Hierauf ist der EuGH vorliegend jedoch nicht eingegangen.

Die Entscheidung des EuGH zum Anwendungsbereich der Steuerbefreiung für Personenzusammenschlüsse bei Leistungen an einen Organkreis ist eine neue Erkenntnis und nachvollziehbar. Die Mitglieder des Organkreises müssen auch sämtlich Mitglieder des Personenzusammenschlusses sein. Ansonsten ist eine Steuerbefreiung für Leistungen eines Personenzusammenschlusses an einen Organkreis nicht möglich. Zwar steht dieser Ausschluss der Steuerbefreiung nicht der Entscheidung des EuGH in der Sache Infohos (EuGH v. 20.11.2019, C-400/18) entgegen. Danach ist es für die Anwendbarkeit der Steuerbefreiung nicht erforderlich, dass die betreffenden Dienstleistungen eines Personenzusammenschlusses ausschließlich den Mitgliedern Zusammenschlusses angeboten werden. Zum anderen können jedoch Dienstleistungen, die an Personen erbracht werden, die nicht Mitglieder des Zusammenschlusses sind, nicht unter Art. 132 Abs. 1 Buchst. f fallen. Wenn jedoch wie im Ausgangsverfahren die von einem Personenzusammenschluss zugunsten einer Organgesellschaft für die Zwecke der MwSt nicht als zugunsten dieser Gesellschaft, sondern als zugunsten des Organkreises (bzw. des Organträgers), dem die Organgesellschaft angehört, erbracht anzusehen sind, besteht nach Auffassung des EuGH (zutreffend) die Gefahr, dass der Umfang der in Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL geregelten Steuerbefreiung erweitert wird, sofern nicht alle Mitglieder der Organschaft auch Mitglieder des Personenzusammenschlusses sind.

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